29.03.2021

Individuelle Medikation: Wie Quantencomputer die Pharmaforschung verändern

Die Forschung an neuen Medikamenten soll in Zukunft durch Quantencomputer deutlich beschleunigt werden. Mittels Simulation von molekularen Strukturen könnten Wissenschaftler eines Tages die Zusammensetzung von Wirkstoffen individuell berechnen. Was wir derzeit über die Entwicklung wissen.

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Die Forschung im Pharmabereich fällt unter die Top-Anwendungsfelder von Quantencomputern. Diese haben das Potenzial die Entdeckung neuer Medikamente maßgeblich zu beschleunigen und zu optimieren.

Quantencomputer sollen Probleme lösen. Große Probleme. Der Pharmabereich ist unter den Top 3-Anwendungsfelder für die Zukunft. Vor allem im Bereich der Medikamentenentwicklung sind diese Supercomputer gefragt um mittels Simulation der unterschiedlichsten Dinge Voraussagen treffen zu können. So sollen die Wechselwirkungen von Molekülen oder ihrer möglichen Zustände simuliert werden oder mittels Anwendungen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz und der Verarbeitung von Big Data z.B. Krankheiten langfristig vorhergesagt werden. [1] Bereits jetzt hat die Quantenphysik viele praktische Anwendungen, u.a. MRT-Aufnahmen.

Computergestütztes Wirkstoffdesign und Modellierung

Im Jänner 2021 haben Boehringer Ingelheim und Google Quantum AI ihre Zusammenarbeit bei der Anwendung von Quantencomputern für die pharmazeutische Forschung und Entwicklung, insbesondere für Molekulardynamik-Simulationen bekannt gegeben. Als gemeinsames Ziel für die biopharmazeutischen Forschung hat man sich die Suche nach neuen Möglichkeiten zur Entdeckung innovativer Medikamente gesetzt und verbindet die Expertise bei computergestütztem Wirkstoffdesign und Modellierung mit den technologischen Möglichkeiten im „Quantum Computing“. [2]

 

Wechselwirkung von Wirkstoffen für Krebstherapie

Merck konzentriert sich gemeinsam mit HQS Quantum Simulations auf die Anwendung und Kommerzialisierung von Software für Quantenchemie auf Quantencomputer. „Herkömmliche Simulationen können eingesetzt werden, um das Feld möglicher Kandidaten einzugrenzen. Mithilfe zukünftiger Quantencomputer lässt sich die Anzahl der zu untersuchenden Moleküle sogar noch weiter reduzieren“, so Michael Marthaler, CEO von HQS. So könnten auf diese Weise Wechselwirkungen verschiedener Wirkstoffe für die Krebstherapie auf Quantenebene optimiert werden. [3]

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Durch die Simulierung von Molekülen und ihrem chemischen Verhalten sollen Medikamtene schneller und genauer entwickelt werden.

Quantenalgorithmen für Alzheimer-Therapien

Die Basler Pharma-Gruppe Roche forscht in Zusammenarbeit mit Cambridge Quantum Computing (CQC) an der Verwendung von Quantenalgorithmen, um Therapien für Alzheimererkrankungen zu entwickeln. Die Analyse biomedizinischer Bilder sehen sie als weiteren potenziellen Bereich. Quantencomputer könnten helfen, durch Krankheiten verursachte topologische Veränderungen zu erkennen. [4]

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Bei Quantencomputern handelt es sich um eine prinzipielle neue Computerarchitektur die in ihrer Leistungsfähigkeit derzeitige Rechner weit übertrifft.

Was sind Quantencomputer?

Doch was ist ein Quantencomputer? Grundlegend handelt es sich um eine neue Computerarchitektur. Die Rechenleistung läutet einen Paradigmenwechsel ein und die Leistungsfähigkeit herkömmlicher Computer wird weit übertroffen. Quarks zieht den Vergleich zwischen einem Überschall-Jet (= Quantencomputer) und einem Zeppelin (= Heim-PC) im Bereich der Leistungsfähigkeit.

Simulation größerer Moleküle beschleunigt die Entwicklung

Bereits jetzt bilden computerbasierte Ansätze die Grundlage für das Design und die Entwicklung innovativer Medikamente. Heutigen Computer sind zum einen physikalische Grenzen gesetzt als auch aufgrund der deterministischen Algorithmenstruktur. Diese schaffen es nicht mehr viele der äußerst komplexen Herausforderungen zu meistern, welche grundlegend sind für die frühen Phasen pharmazeutischer Forschung und Entwicklung, insbesondere Simulationen und Analysen von für den Krankheitsmechanismus relevanten Molekülen. Und hier kommt „Quantum Computing“ ins Spiel, ein völlig neues Gerät auf Grundlage der Quantenphysik, welches auf der Wechselwirkung quantenmechanischer Zustände basiert. Für Michael Schmelmer, Vorstandsmitglied bei Boehringer Ingelheim, besitzt Quantum Computing „das Potenzial, die Forschung und Entwicklung in der Pharmazie erheblich zu beschleunigen und zu optimieren.“ Das Potenzial besteht darin viel größere Moleküle genau zu simulieren und zu vergleichen und somit neue Möglichkeiten für pharmazeutische Innovationen und Therapien für ein breites Spektrum an Krankheiten zu schaffen.

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Quantencomputer rechnen mit Qubits, welche, im Gegensatz zu Bits, in mehreren Zuständen gleichzeitig sein können.

Wie ein Quantencomputer funktioniert

Klassische digitale Computer rechnen mit einzelnen Bits die immer genau einen von zwei möglichen Zuständen einnehmen, eine [1] oder eine [0], und wie An- und Ausschalter funktionieren. Kombiniert führen diese Bits Computerfunktionen aus und arbeiten seriell, d.h. nacheinander. Ein Quantencomputer arbeitet mit Qubits(„Quanten-Bits“). Diese können ebenso den Zustand [1] oder [0] einnehmen, aber auch gleichzeitig im Zustand [1] und [0] sein oder in allen Zuständen dazwischen. Quarks erklärt dies am Beispiel einer Münze: legt man diese mit Kopf oder Zahl nach oben ist sie eine [1] oder [0], also ein klassisches Bit. Wirft man diese Münze jedoch in die Luft und sie dreht sich um sich selbst, kann man nicht sagen ob Kopf oder Zahl oben ist – dies repräsentiert ein Qubit. [5]

Qubits sind miteinander verbunden und haben eine Wechselwirkung. Beeinflusst man den Zustand eines Qubits, ändert sich in diesem Moment auch der Zustand der anderen mit ihm quantenverschränkten Qubits. Und das in Überlichtgeschwindigkeit. Durch diese parallele Datenverarbeitung können sie weit größere Mengen von Informationen speichern und verarbeiten. Dazu benötigen sie weniger Energie, Bits und Raum als heutige Rechner. Laut Space.com ist Googles Quantencomputer bis zu 1,5 Billionen Mal schneller als ein klassischer Computer.

Für eine gute ,grafisch animierte Erklärung in die Funktionsweise der Quantencomputer empfiehlt sich dieses Video des Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF.

(Anm.: Zur vertiefenden Auseinandersetzung mit der Entstehung der Quantencomputer sei dieser Link des Handelsblatt empfohlen.)

Die Entstehung von Qubits

„Quant“ beschreibt in der Physik den kleinstmöglichen Wert einer physikalischen Größe, z.B. 1 Pixel eines Fotos. Ein Quant kann nicht mehr geteilt oder zerkleinert werden. In einem Quantencomputer kann ein Quant ein geladenes Atom, also ein Ion, oder eine bestimmte Menge von Elektronen im Kreisstrom sein. Es gibt unterschiedliche Methoden zur Erstellung von Qubits. Google Quantum AI Forschung zielen auf den Bau von Quantenprozessoren (Hardware) und die Entwicklung neuartiger Quantenalgorithmen (Software) ab. „Die äußerst präzise Modellierung molekularer Systeme gilt weithin als die natürlichste Anwendung von Quantum Computing und hat das Potenzial, Arbeitsprozesse grundlegend zu verändern.“ meint Ryan Babbush, Leiter von Quantum Algorithms bei Google.

Die Zukunft der Forschung

Quantencomputing stellt eine vielversprechende Zukunft für die Pharmaforschung dar. Materialintensive und teure Test können mit der Simulation der biochemischen Prozesse gespart werden. Pharmazeutische Probleme könnten jenseits klassischer Denkmuster gelöst werden. Das Wettrennen um die ersten Ergebnisse hat längst begonnen, steht aber vor großen Herausforderungen. Qubits sind extrem empfindlich, jede kleinste Störung ändert ihren Quantenzustand, sie müssen extrem gekühlt werden und sind schwer zu programmieren. Langfristig betrachtet, werden Quantencomputer einen festen Platz in der Pharmaforschung einnehmen, wir stehen derzeit jedoch noch ganz am Anfang. Forscher sprechen von ca. einem Jahrzehnt bis Quantencomputer soweit sein werden auch Ergebnisse zu liefern. Der Quantensprung liegt somit direkt vor uns.

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Vielleicht sieht so eine futuristische CPU aus? Die Forschung im Bereich Quantencomputing steckt noch in den Kinderschuhen.