08.06.2021

COVID-19: Was gelernt und was ignoriert wurde

Der größte Fortschritt waren bisher die SARS-CoV-2 Vakzine. Sonst ist es vor allem das Management schwerer Erkrankungen – und auf der negativen Seite ein gehöriges Maß an übrig gebliebener Ignoranz. Ein Zwischenfazit von Wolfgang Wagner (Pharmatime).

© balabolka - stock.adobe.com / Pharmatime
Was wurde in über einem Jahr Covid-19 Pandemie gelernt und ignoriert? Wolfgang Wagner von Pharmatime zieht ein Zwischenfazit.

Weltweit 141 Millionen Erkrankungsfälle bei 3 Millionen Toten, in Österreich 590.000 SARS-CoV-2 positive Befunde und knapp 10.000 Todesopfer. Covid-19 hat die Welt auch im Frühling 2021 fest im Griff. Gelernt hat die Medizin einiges: Speziell, wie man in einem Rekordtempo Impfstoffe gegen neue Krankheitserreger entwickelt. Sonst geht es vor allem um viele falsche Hoffnungen, was Therapiemöglichkeiten anlangt. Und in der Prävention ist weiterhin viel Ignoranz unterwegs.

Die Verteilung der Vakazine

Gar keine Frage, die SARS-CoV-2 Vakzine – von den mRNA-Impfstoffen über die Vektor-Produkte von AstraZeneca, Janssen-Cilag & Co. (auch Sputnik V natürlich) – sind dabei, die Welt rund um COVID-19 zu verändern: Wenn die Herstellungskapazitäten weiter ausgebaut werden, möglichst alle Länder der Erde die Vakzine auch bezahlen können und man notwendige Adaptionen bei den Antigenen wegen der Virusvarianten regelmäßig schafft.

„Niemand ist sicher, wenn nicht alle sicher sind. Wir brauchen einen Zugang mit Moral und Pragmatismus. Wir sollten nicht warten, bis in manchen Staaten 70% der Menschen geimpft sind. Nachdem die Hochrisiko-Personen, wie die Betagten, geimpft und die Menschen mit dem höchsten Expositionsrisiko wie die Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegewesen immunisiert worden sind, sollte man die Vakzine möglichst gleich verteilen“, hat Dr. Hans Kluge, Generaldirektor der WHO-Europa, festgestellt.

In dem vom WHO-Eurobüro-Chef genannten Beispiel wären mit 30% der Bevölkerung jene geschützt, welche das größte Risiko für COVID-19 Erkrankungen aufweisen. Das Erreichen dieses Zieles wäre der richtige Zeitpunkt, um in allen Staaten diese Schutzrate zu gewährleisten. Natürlich würden Regierungen versuchen, möglichst große Impfstoffmengen zu erhalten. Sie seien dafür auch von den Wählern gewählt worden. Doch man müsse auch pragmatisch vorgehen.

Kampf zwischen Impf-Nationalismus & Pandemie-Bekämpfung

Die Interessenslage ist naturgemäß widersprüchlich: Die Politik will gegenüber der eigenen Wählerschaft dokumentieren können, auf eigener, nationaler Ebene sprichwörtlich „alles“ getan zu haben, um möglichst viel an Vakzinen bereitzustellen. Das geht derzeit schon in den reichen westlichen Industriestaaten nicht ohne Probleme ab, wie man auch aus Österreich weiß. Außerdem darf man die Impfskepsis nicht außer Acht lassen. Immerhin verweigert auch in Österreich ein nicht unbeträchtlicher Teil von Menschen derzeit schon die COVID-19 Impfung.

Am wichtigsten: Zurückdrängen des Virus

Doch sieht man sich die Berechnungen von britischen Experten um Robin N. Thompson (Mathemathics Institute/System Biology University of Warwick) im „Lancet“ an (doi.org), geht am Zurückdrängen von SARS-CoV-2 kein Weg vorbei: Weil das Mutationsrisiko einfach mit der Zahl der Infektionen steigt.

Thompson und seine Co-AutorInnen zeigen in ihrer Veröffentlichung einfache Grafiken zu ihren Berechnungen: Pro SARS-CoV-2-Infektion liegt die Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Virusvariante, gegen welche die vorhandenen Vakzine nicht oder zumindest weniger wirksam sind, bei 1:5 Millionen. Das bedeutet, dass in einer Personengruppe mit täglich 50.000 neuen SARS-CoV-2 Ansteckungen binnen sechs Monaten eine solche Mutation mit rund 80%iger Wahrscheinlichkeit auftritt. Die Wissenschafter: „Im Kern bedeutet das: Das Risiko für Vakzine-Escape-Varianten ist von der Hintergrund-Inzidenz abhängig. [...] Das Verringern der Zahl der Erkrankungsfälle reduziert damit nicht nur den Stress, dem das Gesundheitswesen ausgesetzt ist, sondern auch die Gefahr von Escape-Mutationen.“

„Die Veränderung der SARS-CoV-2 Viren ist etwas Normales. Pro Woche treten ein bis zwei Mutationen auf. Es wird weiterhin Varianten geben, die uns weiter beschäftigen werden. Das einzige, was hilft, wäre, dass die Infektion nicht mehr auftritt“, sagte Infektiologe Günter Weiss (MedUni Innsbruck). Die Pandemie mit hohen Infektionsraten sorge automatisch für Mutationen der Erreger. Via Selektionsdruck setzen sich „erfolgreichere“ (z.B. infektiösere) SARS-CoV-2 Varianten durch.

 

© Oleksandra Klestova / shutterstock
Das Risiko für Vakzine-Escape-Varianten ist von der Hintergrund-Inzidenz abhängig.

© Pharanyu - stock.adobe.com / Pharmatime
Die Effizienz des Tragen von Masken ist wissenschaftlich gut belegt.

Die leidige Maskenfrage

Abgesehen von „Abstandhalten“ und weniger sozialen Kontakten – Jugendlichen wird man wohl auch nicht ihre Treffen am mittlerweile schon „sprichwörtlichen“ Donaukanal gänzlich verbieten können – scheint das Tragen von Masken die weiterhin beste Hygienemaßnahme zu sein.

Dazu gibt es eine brandneue Übersichtsarbeit (Effectiveness of Mask Wearing to Control Community Spread of SARS-CoV-2) von John T. Brooks und Jay C. Butler (JAMA, 10.2.2021; DOI). „Vor dem Auftauchen von Covid-19 wurde die Wirkung des Tragens von Masken in der Öffentlichkeit, um die Verbreitung von respiratorischen Infektion zu verhindern, noch recht kontroversiell diskutiert, weil es keine soliden und relevanten Daten gab, welche ihren Gebrauch rechtfertigten. Überzeugende Informationen demonstrieren aber jetzt, dass das Tragen von Masken ein wirksames Mittel ist, [...] um die Übertragung von bereits infizierten Personen zu verhindern und die Benutzer selbst vor einer Exposition zu schützen“, schrieben die Autoren.

Die Wissenschafter listeten 11 wissenschaftliche Studien auf, in denen der Effekt der Masken gegen SARS-CoV-2 Infektionen eindeutig belegt worden ist. Es könnte also durchaus sein, dass weniger das Distanzhalten als die Masken – und hier haben offenbar auch die einfachen chirurgischen Masken einen Effekt – wichtig sind.

Wissenschaftlich belegt: Tragen von Masken

Zahlreiche Studien belegen mittlerweile, dass das Tragen von Masken COVID-19 Infektionen bzw. Erkrankungen verhindert. Hier eine Auswahl:

  • Auf dem US-Atom-Flugzeugträger Theodore Roosevelt infizierten sich im Frühjahr 2021 binnen kürzester Zeit 55% der mehr als 5.000 Mitglieder der Besatzung während einer Routinemission. Wer sich für Masken entschied, hatte ein um 70% geringeres Infektionsrisiko (Payne et al).
  • In einer Studie aus 124 Haushalten (335 Infizierte) in Peking dokumentierten Wissenschafter eine Schutzrate von 79% bei den nahen Kontaktpersonen der Erkrankten bei Anwendung der Masken (Wang Y et al).
  • 374.021 Personen wurden in den USA (Rader et al.) web-basiert zu ihrem Verhalten über die Benutzung von Masken in Geschäften und persönlichen Kontakten befragt. 10% mehr Maskentragen erhöhte die Schutzrate um 300%.
  • Die Einführung einer Maskenpflicht in Innenräumen in Kanada (Karaivanov et al) brachte landesweit einen Verringerung der neudiagnostizierten SARS-CoV-2-Infektionen um bis zu 40%.

Lernfaktor Patientenmanagement

Womit man bei der Therapie von Covid-19 Erkrankungen angekommen ist. Insgesamt hat die Medizin im vergangenen Jahr bezüglich der Behandlung von Patienten mit schwerer Covid-19 Erkrankung enorm viel gelernt. „Wir haben an meiner Abteilung mittlerweile schon mehr 2.000 Covid-19 PatientInnen behandelt. Es gibt etablierte Behandlungsleitlinien“, sagte Univ.-Prof. Dr. Christoph Wenisch, Leiter der Infektionsabteilung an der Klinik Favoriten. Sein Credo: Vor allem der richtige Zeitpunkt für den Einsatz der jeweils richtigen Medikamente ist entscheidend. So sei das antivirale Medikament Remdesivir nur am Beginn wirksam. „Dafür wirkt die antientzündliche Therapie mit Cortison (z.B. Dexamethason) danach.“

Monoklonale Antikörper

Von Anfang an: Zunächst einmal gäbe es mittlerweile die Möglichkeit, das Entstehen von schweren Covid-19 Erkrankungen zu verhindern. Hier sind es vor allem Präparate mit monoklonalen Antikörpern, welche im vergangenen Jahr von mehreren Pharmakonzernen (Eli Lilly, Regeneron/Roche) entwickelt worden sind.

Der frühe Einsatz von monoklonalen Antikörpern wie Casirivimab/Imdevimab (Regeneron/Roche) bringt offenbar einiges. Erst vor Kurzem (12. April) wurden Daten aus einer klinischen Studie der Phase III bekannt gegeben (REGN-COV 2069). „Die Studie, die gemeinsam mit dem Nationalen US-Institut für Allergien und Infektionskrankheiten (NIAID), einem Teil der Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH), durchgeführt wurde, erreichte ihre primären und wichtigsten sekundären Endpunkte. Es zeigte sich, dass die subkutane Verabreichung von Casirivimab und Imdevimab das Risiko symptomatischer Infektionen bei Patienten, die zu Beginn der Studie nicht infiziert waren, um 81% verringerte. Darüber hinaus verschwanden bei Personen, die mit Casirivimab und Imdevimab behandelt wurden und bei denen noch eine symptomatische Infektion auftrat, die Beschwerden im Durchschnitt innerhalb einer Woche verglichen mit drei Wochen mit Placebo“, hieß es in einer Aussendung.

In der doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studie wurde die Wirkung von Casirivimab und Imdevimab auf Personen ohne SARS-CoV-2 Antikörper oder Covid-19 Symptome untersucht, die im selben Haushalt lebten wie eine Person, die in den vorangegangenen vier Tagen positiv auf SARS-COV-2 getestet worden war. Die Untersuchung umfasste 1.505 ProbandInnen, die zu Studienbeginn nicht mit SARS-CoV-2 infiziert waren und entweder eine Dosis Casirivimab mit Imdevimab (1.200 mg) oder Placebo erhielten. Die Anwendung erfolgte per subkutaner Injektion.

 

© dariaren - stock.adobe.com / Pharmatime
Der frühe Einsatz von monoklonalen Antikörpern wie Casirivimab/Imdevimab (Regeneron/Roche) bringt offenbar einiges.

Darüber hinaus bewertete die mehrteilige Studie den Antikörpercocktail in einer Kohorte von 204 kurz zuvor infizierten asymptomatischen Patienten, die randomisiert entweder eine Dosis Casirivimab und Imdevimab (1.200 mg subkutane Verabreichung) oder Placebo erhielten. In dieser Kohorte reduzierten Casirivimab und Imdevimab das Gesamtrisiko für das Fortschreiten zu symptomatischem Covid-19 um 31%.

Kombinationen als effiziente Therapieoption

Wahrscheinlich sind eher Kombinationen von monoklonalen Antikörpern eine mehr oder minder effiziente Therapieoption bei Covid-19. So hat die US-Arzneimittelbehörde FDA Bamlanivimab von Eli Lilly vor Kurzem die Notfallzulassung für die Covid-19 Behandlung (Monotherapie) wieder entzogen. Der monoklonale Antikörper war in den USA im vergangenen November bedingt für die Behandlung von milden bis moderate Erkrankungen zugelassen worden. Mittlerweile gibt es aber Bedenken über das Entstehen von Resistenzen. Die Zulassungen für andere, auch kombinierte Antikörper-Präparate, laufen aber weiter. Bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA wird eine allfällige Zulassung geprüft.

Monoklonale COVID-19 Antikörper

Als Beispiel für die monoklonalen Antikörper zur Behandlung von SARS-CoV2 Infektionen: Casirivimab und Imdevimab

  • „Casirivimab und Imdevimab wird angewendet zur Behandlung von SARS-CoV-2-infizierten Erwachsenen und pädiatrischen Patienten ab 12 Jahren mit mindestens 40kg und einer laborbestätigten SARS-CoV-2 Infektion, die milde bis moderate Symptome haben und die Risikofaktoren für einen schweren Verlauf aufweisen“, stellte das deutsche Paul-Ehrlich-Institut fest.
  • Ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben Patienten, die mindestens einen der folgenden Risikofaktoren aufweisen: Alter ≥60 Jahre; BMI >30; Herz-Kreislauf-Erkrankung; chronische Lungenerkrankung; Diabetes mellitus; Immunsuppression; Organtransplantierte etc.
  • Für die Anwendung bei Patienten, die aufgrund von Covid-19 hospitalisiert waren, liegen keine Daten vor, die einen Nutzen einer Behandlung mit Casirivimab und Imdevimab zeigen. Die deutsche Behörde: Daher sollte Casirivimab und Imdevimab nicht bei PatientInnen angewendet werden, die stationär aufgenommen sind oder eine Sauerstofftherapie erhalten.
  • Einmalige Anwendung in einer Dosierung von 1.200mg (i.v.; subkutane Applikationsform in Entwicklung).

© Mike Mareen - stock.adobe.com / Pharmatime
Bei den synthetischen antiviralen Substanzen ist derzeit Remdesivir so ziemlich allein auf weiter Flur.

Remdesivir – das Mittel für die erste Krankheitswoche?

Bei den synthetischen antiviralen Substanzen ist derzeit Remdesivir so ziemlich allein auf weiter Flur. „In der ersten Krankheitswoche ist das ein gutes Mittel“, erklärte Wenisch. Das Timing sei entscheidend.

Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) ist eher skeptisch. „Der Einsatz von Remdesivir zeigte in einer rezenten Studie eine moderate Verkürzung der Erkrankungsdauer (nicht für beatmete PatientInnen), jedoch keinen Mortalitätsbenefit. Eine Hepatotoxizität ist möglich, das Nebenwirkungsprofil ist jedoch noch nicht gut charakterisiert. In einer aktuellen WHO- Studie, die bisher nur als Preprint (nicht Peer Reviewed) vorliegt, konnte für Remdesivir kein Benefit hinsichtlich 28-Tage-Mortalität, Notwendigkeit einer Beatmung, Dauer der Hospitalisierung nachgewiesen werden. Auch wenn Remdesivir eine Zulassung durch die FDA und eine Notfallgenehmigung („Zulassung unter besonderen Bedingungen“) durch die EMA erhalten hat, würde daher der routinemäßige Einsatz des Medikaments derzeit nicht auf einer unter Normalbedingungen geforderten Evidenz beruhen“, heißt es nach wie vor den ÖGARI-Leitlinien (siehe Kasten 2).

Der neue Präsident der Fachgesellschaft, der Tiroler Intensivmediziner Dr. Walter Hasibeder, der für die Organisation die Fachliteratur ständig aufarbeitet, betonte erst vor wenigen Tagen, dass alle direkt antiviral potenziell wirkenden Mittel derzeit nur wenig Platz in der Klinik finden würden.

Antikoagulation rettet Leben

Eindeutig wird die Mortalität bei schwerer Covid-19 Erkrankung durch eine Blutverdünnung zur Verhinderung von Thromboembolien per Gabe von Heparin etc. reduziert. Hasibeder zeigte dazu Daten aus einer Studie aus fünf New Yorker Spitälern mit 4.389 PatientInnen: „Ohne Antikoagulation (Blutverdünnung; Anm.) betrug die Mortalität rund 40%, mit Antikoagulation war sie um die Hälfte geringer.“

Infektiologe Wenisch verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass auch niedrig dosiertes rtPA – jene Substanz, mit der Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten im Akutfall zur Auflösung des aufgetretenen Blutgerinnsels in einer Koronararterie oder einem Gehirngefäß behandelt werden – eingesetzt werden kann. „Jeder, der heute mit Covid-19 ins Spital kommt, erhält eine Antikoagulation“, betonte der Infektiologe.

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat in diesem Zusammenhang drei aktuelle Studien zum positiven Effekt der Antikoagulation bei Covid-19 Patienten aufgelistet. Eine erst vor Kurzem publizierte Arbeit (Rentsch CT, Beckman JA, Tomlinson L et al. (doi.org) untersuchte an 4.297 PatientInnen, ob ein früher Beginn der prophylaktischen gegenüber keiner Antikoagulation die kumulative 30-Tages-Mortalität senkt. Bereits zuvor ambulant antikoagulierte Patienten waren von der Analyse ausgeschlossen.

Erfasst wurden Therapien mit Warfarin, Heparin und DOAKs. Bei 3.627 der 4.297 Patienten (84,4 %) begann man die Prophylaxe innerhalb von 24h nach der Aufnahme (zu 99% mit subkutaner Heparin-gabe). Von insgesamt 622 Todesfällen ereigneten sich 510 (82%) noch in der Klinik. Die kumulative Mortalität betrug unter der Prophylaxe 14,3% und ohne Antikoagulation 18,7%. Antikoagulierte Patienten hatten eine um 27% niedrigere Mortalität. Bei therapeutischer Antikoagulation waren die Zahlen ähnlich. Nach Ansicht der Autoren unterstützen diese „real-world“-Daten vorliegende Empfehlungen für eine prophylaktische Antikoagulation von Covid-19-Patienten ab dem Tag der stationären Aufnahme.

Der Nutzen einer vor der Spitalsaufnahme begonnenen Antikoagulation bei Covid-19 konnte demnach bisher nicht belegt werden. Eine aktuelle Arbeit wertete dazu eine Kohorte von 2.848 Patienten (24 Zentren) aus (Chocron R, Galand V, Cellier J et al. (doi.org) Die Patienten wurden zunächst auf Normalstationen aufgenommen, direkt intensivpflichtige Patienten waren ausgeschlossen. Von 2.878 Patienten waren 382 (13,2%) bereits im Vorfeld oral antikoaguliert. Nach statistischer Adjustierung errechnete sich für Patienten mit vorbestehender Antikoagulation eine signifikant bessere Prognose mit einer um 30% geringeren Mortalität. Im Gegensatz zu anderen Studien zeigte sich kein Vorteil durch eine erst in der Klinik begonnene therapeutische oder prophylaktische Antikoagulation.

Der Nutzen einer höher dosierten Antikoagulation ist derzeit noch nicht gesichert. Offenbar aber gibt es derzeit keinen genügend aussagekräftigen Beleg dafür, dass eine Thrombozytenaggregationshemmung (ASS, Clipidogrel etc.) ausreichen würde.

Die Daten: Remdesivir

Hier der Status von Remdesivir in der Behandlung von hospitalisierten Covid-19 Patienten (Paul-Ehrlich-Institut):

  • Remdesivir hat in der Europäischen Union eine bedingte Zulassung für die Behandlung von Erwachsenen und Jugendlichen (≥ 12 Jahre) mit Covid-19 Pneumonie mit Low- oder High-Flow-Sauerstoffpflichtigkeit bzw. mit nicht-invasiver Beatmung (NIV).
  • Nach den vorliegenden Daten aus der ACTT-I-Studie beruht der Nutzen von Remdesivir auf einer statistisch signifikanten Verkürzung der Zeit zur Genesung (v.a. bei Patienten mit Sauerstoffpflichtigkeit).
  • Die Daten der ACTT-I-Studie deuten zwar bei Patientnen mit Sauerstoffsubstitution auf einen Überlebensvorteil nach 14 und 28 Tagen beim Einsatz von Remdesivir hin, der Einfluss auf die 28-Tage-Mortalität konnte jedoch in der WHO-Solidarity-Studie nicht nachgewiesen werden, unabhängig von der Art der Sauerstoffsubstitution.
  • Entsprechend den Daten der WHO-Solidarity-Studie hat der Einsatz von Remdesivir keinen Einfluss auf die Hospitalisierungsdauer sowie auf die Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung.
  • Eine antivirale Therapie in der hyperinflammatorischen Phase von Covid-19 sowie bei Patienten mit mechanischer Beatmung inkl. ECMO bringt nach der aktuellen Datenlage keinen Benefit und könnte eventuell sogar nachteilig sein.
  • Das RKI: „Wir empfehlen daher, Remdesivir nur bei sauerstoffpflichtigen, jedoch nicht-beatmeten Patienten möglichst frühzeitig (optimal bis zum Tag 5-7 nach Symptombeginn) einzusetzen.“ Die Behandlungsdauer sollte auf 5 Tage beschränkt bleiben; Verlängerung auf 10 Tage nur nach eingehender Überlegung.

Vorübergehend Cortison

Was eindeutig bei beatmungspflichtigen Patienten mit Covid-19 hilft, ist Cortison als Immunmodulans. „In der am 17.7.2020 im ,New England Journal of Medicine‘ publizierten Recovery-Studie konnte ein deutlicher Vorteil bei beatmungspflichtigen PatientInnen mit Covid-19 gefunden werden. Der Einsatz von Dexamethason (Dosis 6mg/d einmal täglich für 10 Tage) wird empfohlen. Alternativ kann eine Gabe von Hydrocortison (Dosis 50mg alle 6 Stunden i.v. oder per Sonde) erfolgen“, heißt es in den Empfehlungen der ÖGARI.

Falls Patienten allerdings unter invasiver Beatmung 24h nach Beatmungsoptimierung nach wie vor Kriterien eines moderaten bzw. schweren ARDS aufwiesen, sollte Dexamethson (20mg/d für 5 Tage gefolgt von 10mg/d über 5 Tage) in Erwägung gezogen werden.

© Tyler Olson - stock.adobe.com / Pharmatime
Cortison als Immunmodulans hilft bei beatmungspflichtigen Patienten mit COVID-19 lt. der RECOVERY-Studie.

Recovery-Studie: Dexamethason bei Schwerkranken

In die Recovery-Studie wurden insgesamt mehr als 6.400 wegen Covid-19 hospitalisierte Patienten aufgenommen. 2.104 erhielten Dexamethason, 4.321 ein Placebo.

  • Insgesamt starben 22,9% innerhalb von vier Wochen in der Dexamethason-Gruppe, 25,7% in der Vergleichsgruppe. Das bedeutete eine Mortalitätsreduktion um 17% (p<0,001).
  • Bei Patienten mit invasiver mechanischer Beatmung lagen die Mortalitätsraten bei 29,3% bzw. 41,4% (minus 36%).
  • Minus 18% Sterblichkeit wurde durch die Cortisontherapie auch bei nicht-invasiv Beatmeten registriert.
  • Hingegen gab es keinen signifikanten Unterschied bei Patienten ohne Sauerstoffbedarf (17,8% versus 14% ohne Dexamethason).

Asthma-Spray: Bitte warten!

Bleibt noch die Frage zu Budesonid. Für den entsprechenden Hype hat der Gesundheitsexperte der deutschen SPD, Dr. Karl Lauterbach, gesorgt. Zwei Wochen nach ihrem Erscheinen wies er auf Social Media auf die sogeannnte STOIC- Studie (Lancet Respiratory Disease) hin. Es handelte sich um eine Phase I/II-Untersuchung ohne Placebo-Kontrolle. Insgesamt nahmen 146 Probanden mit leichten Covid-19 Symptomen teil.

Eine Gruppe (73 Probanden) verwendete täglich zweimal 800μg Budesonid (Turbohaler). Demnach sank das relative Risiko für eine Verschlechterung der Symptome oder die Notwendigkeit einer Krankenhauseinweisung durch Budesonid um 90%. Die Symptome waren in der Budesonid-Gruppe durchwegs leichter, es kam zu weniger Fieber. Schließlich litten weniger Personen unter Budesonid nach 28 Tagen noch unter Beschwerden.

Ob das alles so in der Zukunft stehen bleiben wird, ist noch fraglich. Die Österreichische Gesellschaft für Pneumologie hat ihre Schlussfolgerungen so formuliert: „Aufgrund der kleinen Anzahl von Studienteilnehmenden und der Tatsache, dass der primäre Endpunkt subjektiven Einflüssen unterlag, ist es derzeit noch nicht seriös möglich, endgültige Schlüsse für die frühzeitige Behandlung von Covid-19 Patienten mit ICS zu ziehen. Zu vermeiden ist auch, die Ergebnisse dieser Phase II Studie auf die gesamte ICS Substanzklasse zu projizieren. Derzeit sind außer zu Budesonid keine Daten für eine Behandlung von Covid-19 Patienten publiziert und es ist kein ICS-haltiges Präparat für die Therapie von Covid-19 zugelassen.“

Wenn aber jetzt alle rennen und sich in Österreich einen Turbohaler besorgen, geht die Sache erst recht schief, meinen die Lungenspezialisten: „Für Patienten mit Asthma ist eine regelmäßige ICS Einnahme unerlässlich, und die Versorgung dieser PatientInnen muss gewährleistet bleiben. Daher ist von einer breiten Off-Label Behandlung von Covid-19 PatientInnen oder gar der Selbstmedikation durch Personen mit SARS-CoV-2-Infektion auch aus Sicht der Versorgungssicherheit von Patienten mit Asthma abzuraten.“ «

Autor: Wolfgang Wagner

Medium: pharmatime 5/2021

Verlag: Pharma-Time Verlags GmbH