18.02.2021

Neurozentriertes Personal Training: Wie spielen Augen, Gehirn und Bewegung zusammen?

Die Ursache für Rückenschmerzen ist oft nicht ein schlechter Bürostuhl, sondern die Arbeit an einem kleinen Bildschirm. Luise Walther, neurozentrierte Personal Trainerin, klärt im Interview mit Tamara Effler, Content Manager bei Reed Exhibitions, auf. Das Interview wurde für die FIBO, die internationale Leitmesse für Fitness, Wellness und Gesundheit von Reed Exhibitions geführt.

© Luise Walther
Luise Walther erklärt das Zusammenspiel von Bewegung, Gehirn und Nervensystem und wem neurozentriertes Training helfen kann.

FIBO: Neurozentriertes Training folgt dem Credo „Bewegung beginnt im Kopf“. Wie lässt sich Neuroathletik beschreiben?

Luise Walther: Neuroathletik sieht Training und Bewegung aus einer anderen Perspektive. Im Mittelpunkt steht nicht die Biomechanik, mit Muskeln, Bändern, Gelenken und Knochen. Das Gehirn und Nervensystem rücken in den Fokus und damit das System, das die Bewegung steuert und die ausschlaggebenden Impulse gibt.

FIBO: Heißt das, dass ich mir Schmerzen einfach wegdenken kann?

Luise Walther: Nein. Schmerzen sind multifaktoriell, ein sehr komplexes Konstrukt. Er entsteht in 12 unterschiedlichen Gehirnarealen. Das bedeutet, dass man in all diesen 12 Bereichen Veränderung schaffen kann. Allein durch eine neue Bewertung wird Schmerz modelliert und kann langfristig bewältigt werden.

FIBO: Wie funktioniert diese Neu-Bewertung von Schmerz in der Praxis?

Luise Walther: Meine Kunden mit Rückenschmerzen berichten, dass der Rücken ununterbrochen schmerzt. Hier hake ich nach. Waren die Schmerzen auch morgens beim Zähne putzen oder Kaffee machen spürbar? Solche einfachen Fragen regen zum bewussten Nachdenken an. Die Perspektive der Schmerzwahrnehmung ändert sich.  

FIBO: Ist Neuroathletik nicht nur etwas für Profi- und Leistungssportler?

Luise Walther: Ich unterscheide die Begriffe Neuroathletik und neurozentriertes Training. Neuroathletik meint die sportartspezifische Vorbereitung auf den Wettkampf für Leistungs- und Spitzensportler. In Deutschland ist sie durch Lars Lienhart geprägt, der als Neuroathlet und Athletiktrainer arbeitet.

FIBO: Bei neurozentriertem Training spielt die Athletik also eine untergeordnete Rolle.

Luise Walther: Richtig, hier steht der Trainingsaspekt im Fokus. Neurozentriertes Training behandelt das Zusammenspiel von Bewegung, Gehirn und Nervensystem, und ist damit für alle geeignet. Ein alleinerziehender Vater, eine Managerin, ein Büromensch: Im jeweiligen Lebensbereich müssen alle Höchstleistungen bringen.

FIBO: Was steht im Mittelpunkt Ihres neurozentrierten Personal Trainings?

Luise Walther: Aufgrund meiner eigenen Geschichte mit zwei Bandscheiben Not-OPs konzentriere ich mich auf Schmerzbewältigung. Obwohl meine Bauch- und Rückenmuskeln gut trainiert, gedehnt und mobilisiert sind, hatte ich dauerhaft Schmerzen. Bis ich begriffen habe, dass Schmerz und Bewegung im Gehirn entstehen. Augen, Gleichgewichtsorgan und Atmung spielen zusammen und beeinflussen den Schmerz. Diese Zusammenhänge zu verstehen war eine Riesen-Erleichterung für mich. Mittlerweile bin ich komplett schmerzfrei.

© Luise Walther
Schmerz und Bewegung enstehen im Gehirn. Erst diese Erkenntnis hat Luise Walther bei der Heilung ihrer eigenen Schmerzen geholfen.

FIBO: Eignet sich neurozentriertes Training auch präventiv, dass man die perfekten Bewegungsabläufe und das Zusammenspiel der Systeme nicht verlernt und Schmerzen erst gar nicht entstehen?

Luise Walther: Definitiv. Prävention zu leisten ist ideal. Das Training von Augen, Gleichgewicht, Atmung und Bewegung und deren Zusammenspiel, lässt Schmerzen erst gar nicht entstehen.

© Luise Walther
Online können sehr gut Zusammenhänge von Rückenschmerzen und Stress erklärt und Übungen für den Alltag mitgegeben werden, so Walther.

FIBO: Was sind typische Diagnosen Ihrer Patienten?

Luise Walther: Von Alzheimer, ADHS, Parkinson bis hin zu orthopädischen Fällen ist alles dabei. Derzeit arbeite ich außerdem mit einigen Post-Covid Patienten an der Verbesserung der Atmung. Viele meiner Kunden leiden unter Rückenschmerzen und Stress. Hier kann ich online sehr gut Zusammenhänge erklären und Übungen für den Alltag mitgeben.   

FIBO: Neurozentriertes Training lässt sich auch online umsetzen?

Luise Walther: Seit dem ersten Lockdown arbeite ich viel online. Die Digitalisierungsbereitschaft bei den Kunden ist gestiegen. Vorteil ist eine größere Zielgruppe. Kunden aus ganz Deutschland können das Online-Angebot nutzen.

FIBO: Eine Win-Win Situation für Ihre Kunden und Sie.

Luise Walther: Ich beobachte oft, dass die Aufmerksamkeit der Kunden online anders ist. Bei 1:1 Trainings gebe ich Hilfestellung. Online machen die Kunden alles selbst. Obwohl ich sie nicht anfasse, werden die Schmerzen weniger und die Bewegungen besser. Das zeigt ihnen den wichtigsten Trainingserfolg: Ich kann den Zustand selbst jederzeit abrufen. 

FIBO: Wird neurozentriertes Personal Training als letzter Ausweg gesehen, wenn Orthopäde und Physiotherapeut nicht mehr weiterwissen?

Luise Walther: Meine Kunden haben meist viel versucht, und waren bei Physiotherapeuten, Osteopathen und Heilpraktikern. Das heißt nicht, dass das falsch ist. Wenn aber die Atmung eingeschränkt ist oder die Augen Stress und Spannung aufbauen, bringt die wöchentliche Physiotherapie nichts. Es muss die Grundlage gelegt werden, dass die Physiotherapie Effekte erzielt. Damit ist neurozentriertes Training kein Ersatz, sondern eine Ergänzung, die eine andere Perspektive eröffnet.

FIBO: Vielen Dank für das Gespräch.