EU-Politik: Warum wir die Produktion von Medikamenten nicht verlieren dürfen

Alexander Herzog, Generalsekretär der PHARMIG, des Verbandes der pharmazeutischen Industrie Österreichs, fordert finanzielle Anreize um Pharmaunternehmen in Europa zu halten.

© PHARMIG, StefanCsaky
Die Coronavirus-Pandemie hat gezeigt, dass Innovationen im medizinischen Bereich der Schlüssel zu einer möglichen Rückkehr in die Normalität sind“, meint Alexander Herzog, Generalsekretär der PHARMIG, des Verbandes der pharmazeutischen Industrie Österreichs.

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Alexander Herzog: Seit vielen Jahren beobachten wir eine Verlagerung der Produktion nach Asien. Die Preisspirale bei Arzneimitteln dreht sich seit Langem konsequent nach unten. Gleichzeitig steigen sämtliche Kosten, wie etwa Lohn- und Materialkosten. Das macht es für pharmazeutische Unternehmen immer schwieriger, in Österreich oder Europa Produktionsstätten aufrecht zu erhalten, geschweige denn eine Produktion neu aufzubauen. Diese Abhängigkeit stellt eine Herausforderung dar. In der medizinischen Versorgung hat sie aber andere Folgen als in anderen Branchen, die nicht Produkte herstellen, mit denen Leben gerettet, verlängert oder verbessert werden können.

Was wird benötigt, um die Unabhängigkeit bei Produktion, Nachfrage und Liefergarantie zu gewährleisten?

Herzog: Um hier von anderen Regionen unabhängiger zu werden, sind finanzielle Anreize zwingend nötig. Wir stehen hier für jeden konstruktiven Dialog zur Standortstärkung mit der Politik in Österreich und Europa gerne zur Verfügung. Allerdings benötigen wir ein klares Bekenntnis der Politik, dass sie die Pharmaindustrie hier unterstützen will. Das muss einerseits in einer gezielten Ansiedlungspolitik resultieren, die Investitionen unterstützt und Genehmigungsverfahren für Anlagen beschleunigt.

Was braucht es, um mögliche Probleme aus dem Weg zu schaffen?

Herzog: Die Industrie braucht auch wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen. Dazu zählen Steuererleichterungen, ein klares Bekenntnis zu mehr Forschung und konkrete wirtschaftliche Anreize, um die Produktion in Österreich weiter attraktiv zu machen und die Marktbedingungen zu verbessern.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit anderen Ländern bzw. gibt es eine gute Zusammenarbeit?

Herzog: Die weltweite Zusammenarbeit verläuft vorbildlich. Es ist beeindruckend, wie pharmazeutische Unternehmen innerhalb kürzester Zeit auf die sich abzeichnende Krise reagiert und neue Forschungsprojekte aufgesetzt oder den Fokus laufender Therapie-Entwicklungsprojekte auf den Einsatz bei Corona hin umgelenkt haben. Wiewohl die Erforschung von Arzneimitteln auch unter normalen Gegebenheiten in der Regel ein länderübergreifendes Projekt ist. Dass sich Unternehmen aber nun in einem viel stärkeren Ausmaß zu Forschungsgemeinschaften zusammengeschlossen haben, zeigt das hohe Verantwortungsbewusstsein der pharmazeutischen Industrie für Patientinnen und Patienten.

Welchen Beitrag leisten pharmazeutische Unternehmen bezüglich Corona Krise?

Herzog: Neben der Erforschung wirksamer medikamentöser Therapien leisten pharmazeutische Unternehmen auch auf andere Weise einen Beitrag zur Bewältigung der Corona-Krise, nämlich durch Geld- und Sachspenden, durch Bereitstellung von speziell geschultem Personal oder auch durch die Unterstützung bei der Lieferung wichtiger Medikamente an Personen, die ihr Zuhause nicht verlassen können.

Gibt es einen EU weiten Schulterschluß?

Herzog: Im Angesicht der Corona-Krise besteht ein starkes, gemeinsames Bedürfnis nach einer besseren Struktur für die Versorgung mit Arzneimitteln und medizinischer Ausrüstung. Wir sprechen uns hier klar für eine gemeinschaftliche Lösung auf europäischer Ebene aus und gegen einseitige, nationale Schritte.

Was benötigt die Industrie für weitere Schritte?

Herzog: Genaue Daten sind für die Hersteller von entscheidender Bedeutung, damit sie den tatsächlichen Bedarf angemessen prognostizieren und die notwendige Planung vornehmen können, und zwar sowohl im Hinblick auf die Herstellungskapazitäten in der EU als auch bezüglich detaillierter Vertriebsvereinbarungen. So kann besser dafür Sorge getragen werden, dass Medikamente zur richtigen Zeit in die richtigen Regionen geliefert werden können. Doch auch wenn sich die Corona-Situation jetzt etwas stabilisiert, stehen Hersteller nach wie vor unter Druck, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Wir benötigen daher weiterhin die nachhaltige Zusammenarbeit und Unterstützung der europäischen und nationalen Behörden, um Kontinuität in der Versorgung gewährleisten zu können.

Gibt es bereits Strategien bezüglich eines Impfstoffes?

Herzog: Die Entwicklung eines Impfstoffes zum Schutz vor SARS-CoV-2 laufen nach wie vor auf Hochtouren. Die derzeitige Pandemie kann nur dann flächendeckend eingedämmt werden, wenn auch alle Menschen einen Zugang dazu haben. Mit Sicherheit muss man sich daher jetzt schon Gedanken machen, wie ein Impfstoff in der erforderlichen Menge schnellstmöglich produziert und verteilt werden kann. Auf europäischer Ebene wird bereits an einer Strategie gearbeitet. Bei dieser Gelegenheit muss ich aber auf das hohe Forschungsrisiko, die Komplexität und die notwendige Sicherheit eines neuen Impfstoffes hinweisen.

Wann rechnen Sie mit der Einführung des Impfstoffes?

Herzog: Mit Prognosen, wann ein Coronavirus-Impfstoff verfügbar sein wird, müssen wir vorsichtig sein. Die lange Geschichte der Arzneimittelforschung hat uns gelehrt, mit einem enorm hohen Risiko des Scheiterns zu rechnen und damit umzugehen. Gerade Impfstoffe sind hoch komplexe Produkte, die lange Entwicklungszeiten haben und die sehr umfangreich auch auf ihre Sicherheit untersucht werden müssen. Oft müssen Unternehmen hier auch noch auf den letzten Kilometern dieses langen Entwicklungsmarathons Rückschläge in Kauf nehmen. Wir gehen daher einen Schritt nach dem anderen.

Was lernen Sie aus der Corona Krise?

Herzog: Die Coronavirus-Pandemie hat gezeigt, dass Innovationen im medizinischen Bereich der Schlüssel zu einer möglichen Rückkehr in die Normalität sind. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir in einer zukunftsorientierten, ganzheitlichen Pharmastrategie auf europäischer Ebene sicherstellen, dass alle Patienten von Innovationen profitieren können.

Würden Ihnen wirtschaftliche Anreize dabei helfen?

Herzog: Wirtschaftliche Anreize tragen dazu bei, die Forschungsaktivität anzuregen, beispielsweise der Patentschutz. Wird dieser aufgeweicht, bewirkt man damit das Gegenteil und die Entwicklung neuer Medikamente wäre gefährdet. Sicher ist, dass sich die voranschreitende Digitalisierung als hilfreiches Werkzeug entpuppen wird, damit Innovationen rascher erforscht, entdeckt und entwickelt werden und Patientinnen und Patienten noch schneller behandelt werden können.

 

Vielen herzlichen Dank für die Beantwortung meiner Fragen.

Die Fragen wurden präsentiert von Bianca Schürz, Brand und Content Managerin